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Heinz Stolze, Institut für Stimme und Kommunikation, Bremen

in www.forum-stimme.de

angelegt im April 2001, ergänzt am 8.9.2006, letzte Änderung am 21.6.2007

Themenanregung: J. Heide


Die Rolle des weichen Gaumens beim Singen

Eine Informationssammlung zum Thema "weicher Gaumen"

>>>

A. Bücher, Zeitschriften***B.1 Selbstbeobachtung****B.2 Ankopplung Nasenraum-Mund/Rachenraum***B.3 Zur Akustik***B.4 Mißverständnisse***Rückmeldungen, Diskussion***Wiederaufnahme der Diskussion/Juli 2006

A. Bücher, Zeitschriften

Vorweg einige Bücher, die wir konsultiert haben:

Eckert, H., Laver, J. : Menschen und ihre Stimmen - Aspekte der vokalen Kommunikation, Beltz Psychologie-Verlags-Union, 1994, Seite 111 ff. Bezüglich der mit dem weichen Gaumen verbundenen Frage des Näselns finden sich gute praxisorientierte Ausführungen.

Faltin, R.: Singen lernen? Aber logisch! - Von der Technik des klassischen Gesanges, Wißner-Verlag, Augsburg 1999, Seite 26 ff. Hier findet sich eine informative Auseinandersetzung mit dem Thema aus Sicht der Gesangspädagogin.

Goldhan, W.: Die Kennzeichen der Sängerstimme, 3. Aufl. Schneider, Tutzing, 2001. (S. 52 ff und Seite 123). W. Goldhan gibt einen informative und aktuellen Überblick über die klangliche Struktur der durch Senkung des Gaumensegels erreichbaren Nasalität. In einer Tabelle (S. 123) werden Phänomene und sie beschreibende Publikationen aufgelistet.

Habermann, G.: Stimme und Sprache, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 1. Aufl. 1978. Seite 50 ff. Habermann präsentiert physiologische Fakten und eine Darstellung der Verschlußfunktion zwischen Nasen- und Rachenraum.

Sundberg, J. : The Science of the Singing Voice. De Kalb, IL: Nothern Illinois University Press, 1987 (deutsche Ausgabe: Die Singstimme). Ab Seite 132 sind ist das Thema "Artikulation und Formanten" sehr fachgerecht beschrieben. Es fanden sich keine speziellen Ausführungen zur Funktion des weichen Gaumens, die hier weiterhelfen würden.

Titze, R.I.: Principles of Production of Voice, Prentice Hall, Englewood Cliffs, New Jersey, 1994. Das Buch ist ein beeindruckendes Standardwerk der modernen Vokologie. Es fanden sich keine speziellen Ausführungen zur Funktion des weichen Gaumens, abgesehen von einer kurzen Betrachtung des Einflusses der Verengung im Gaumenbereich auf das Schallfeld im Vokaltrakt, die wir weiter unten aufgreifen werden.(S. 155)

Zeitschriften: Eine vorläufige Sichtung der letzten Jahrgänge des "Journal of Voice" und des "Journals of the Acoustical Society of America" brachte keine direkt diesem Thema gewidmete Publikation zutage.

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B. Fakten, Ideen, Begriffe etc

B.1 Selbstbeobachtung
Eine ausführliche Selbstbeobachtung ist sicher der beste Startpunkt für die nähere Beschäftigung mit dem weichen Gaumen. Dabei sind vor allem zwei Aspekte naheliegend: die sichtbare Formung und die Ventilfunktion für den Luftstrom.

a) Sichtbares
Mit Taschenlampe und Spiegel läßt sich der weiche Gaumen vor allem beim Vokal "a" (flache Zungenlage) gut beobachten.
Untersuchen Sie vor allem, wie er sich abhängig von der gesungenen Tonhöhe hebt.
Im allgemeinen wird berichtet, daß er sich hebt, sobald die Tonhöhe über die Übergangszone der Register (Passagio) hinausgeht. Der Bogen steigt umso höher und wird umso spitzer, je höher die Tonhöhe ist. Dabei wird das Zäpfchen immer kleiner und verschwindet letztlich möglicherweise aus dem einsehbaren Bereich.
R. Faltin (Seite 29) präsentiert Farbphotos für die Lagen tief/Passagio/hoch bei den vier Stimmgattungen männlicher Sopran/weiblicher Sopran/Bariton/Tenor. Die Darstellung ist sehr ansprechend und informativ. Leider fehlt die genaue Angabe der gesungenen Töne. Ob die Aufnahmen tatsächlich represäntativ für die jeweilige Gattung sind, oder eher individuelle Muster zeigen, ist anscheinend nicht genauer untersucht worden. Manche Schulen verlangen eine weitgehende Unabhängigkeit der Tonhöheneinstellung im von "Hilfsmuskeln", und damit also eine Entkopplung von Gaumenwölbung und Tonhöhe, andere eine Verbindung - wer weiß, warum auf den drei Photos des Baritons nur geringe Änderungen der Gaumenform erkennbar sind?

Beobachtungen des Autors (Bariton): Allein die Vorstellung, einen hohen Ton (z.B. e´) zu singen, führt nicht zu einer deutlichen Hebung, diese tritt erst mit dem tatsächlichen Einsatz des Tones auf.
Die Hebung reduziert sich beim Übergang von Brust- zu Kopfstimme (Falsett) auf demselben Ton (z. B. e´)

b) Ventilfunktion für den Luftstrom
Die luftdurchgängige An- oder Abkopplung des Nasenraumes an den Mund-Rachenraum wird viel diskutiert. Das reine Klanggefühl erlaubt keine zuverlässige Entscheidung. Um Festzustellen, ob der Nasenraum angekoppelt ist oder nicht, werden folgende Methoden vorgeschlagen:
Spiegel: Einen kleinen Spiegel vor die Nasenöffnung halten und das Beschlagen beobachten. Dies ist ziemlich zuverlässig, aber ohne eine zweite Person auch umständlich.
Finger: Nicht ganz so zuverlässig, aber sehr brauchbar ist die Methode des "Fingersensors". Man hält die Fingerbeere des Zeigefingers unter die Nasenöffnung und fühlt die Wärme des entweichenden Luftstromes. Vorteil: man braucht die Augen nicht zu verrenken. Es läßt sich auch eine ordentliche Zuverlässigkeit entwickeln, wenn man die Geduld aufbringt, zunächst einmal zu Üben. Etwa: zunächst bei einem "m" den Luftstrom fühlen, bei einem "a" nicht fühlen, bei einem "a" mit gesenktem Gaumen (französischer Nasallaut) wieder einen (schwachen) Luftstrom fühlen. Beim Wechsel "m-a-m-a ..." mit dem Finger den Unterschied wahrnehmen.
Mund zuhalten: Man verschließt plötzlich mit der flachen Hand den Mund. Strömt danach noch Luft durch die Nase, so war das Gaumensegelventil offen. Der Ton bricht abrupt ab, wenn die das Gaumenventil zur Nase verschlossen war. Probleme: man wird beim plötzlichen Verschluß kaum vermeiden können, daß sich das Ventil unwillkürlich umstellt. Ein vollkommen dichter Verschluß des Mundes ist nur schwer herstellbar.
Heben der Zungenwurzel: Man beendet den fraglichen Ton und hebt dann die Zungenwurzel (Faltin, S.30). Kann in dieser Stellung Luft durch die Nase entweichen, so war das Ventil offen. Auch hier ist zu befürchten, daß dem Ungeübten das Heben der Zungenwurzel nicht ohne Einfluß auf das Gaumensegelventil durchführbar ist.

Brauchbar sind also vor allem die Methoden "Spiegel" und "Finger". Spiegel ist zuverlässiger, Finger ist aber vor allem deshalb faszinierend, weil das direkte Erfühlen ein intensiveres Erleben bietet.

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B.2 Ankopplung Nasenraum-Mund/Rachenraum

Dazu einige Feststellungen und Meinungen

Habermann: Bei Habermann (Seite 56) finden wir die Idee, daß der weiche Gaumen für den Schall den Zugang vom Rachen zum Nasenraum freigeben könnte.
Zitat: Beim Singen verstärken die Nasenhaupthöhlen wahrscheinlich gewisse Teiltöne; deshalb besteht beim Sänger das Bestreben, den Schallwellenweg in diese Räume in gewissen Stimmbereichen durch Absenken des weichen Gaumens frei zu machen. Das darf allerdings nicht dazu führen, daß auch Ausatmungsluft mit durch die Nase entweicht ...
Natürlich ist es wohl kaum überzeugend, anzunehmen, es könne eine räumliche Öffnung so hergestellt werden, daß der Schall hindurch geht, nicht aber der Luftstrom. Was sehr wohl denkbar wäre: es verbleibt eine Art dünne, gut schalldurchlässige Grenzschicht (Membran), die den Luftstrom absperrt und Schall durchlässt.
Wir kommen damit zu einer grundsätzlichen Aussage: Schall muß keineswegs über eine luftdurchgängige Öffnung in den Nasenraum gelangen. Durch das Vibrieren von Gewebe und Knochen ist der Nasenraum schallmäßig -z. B. auch über den harten Gaumen - durchaus wirkungsvoll mit dem Vokaltrakt verbunden. Die Stellung und Konsistenz des weiche Gaumen kann den Grad dieser Verkopplung sicher erheblich beeinflussen.

Goldhan: Nach Goldhan (S. 54) soll der Nasenraum nur für die Nasallaute angekoppelt werden. Er erkennt an, daß die subjektive Wahrnehmung des Mitschwingens im Nasen- und Gesichtsbereich hilfreich für die Stimmgebung ist, verweist aber darauf, daß das Mitschwingen in diesen Räumen im abgestrahlten Schall keineswegs eine bedeutsame Rolle spielt. (Nasallaute natürlich ausgenommen).

Zur Bildung einer eigenen Meinung bezüglich der eigenen Stimme seien auch zu diesem Thema Selbstversuche empfohlen. Allein mit einem Aufnahme- und Wiedergabegerät lässt sich vieles klären. Weiter kommt man mit einem Gerät zur Schallanalyse (Spektrum, Sonagramm), das in unserem Bremer Stimmstudio benutzt werden kann.

Faltin: Bei Faltin (S. 30) finden wir einen Tip, wie man auf einem wie erstaunt gesungenem "a" Nasalität nach der Methode "Heben der Zungenwurzel" nachweisen kann. Leider wird nicht ganz klar, ob diese Nasalität unbedingt wünschenswert ist, oder ob nur ein physiologisches Experiment beschrieben wird. An anderer Stelle (S. 27) wird offensichtlich Nasalität auch bei Nichtnasallauten favorisiert: In der hohen Lage wird zunehmend die Resonanz des nasalen Raumes benötigt.

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B.3 Zur Akustik

Eine grundlegende Frage ist die nach den akustischen Eigenschaften des Vokaltraktes am glottisseitigen Eingang. Sie werden fachgerecht durch die Eingangsimpedanz des Vokaltraktes beschrieben. Diese ändert sich mit der Hebung des weichen Gaumens. Eine systematische Untersuchung dazu ist uns nicht bekannt - wir wären dankbar, wenn jemand eine nennen könnte.

Akustisches zur Weite der Gaumenpassage.Einfache Überlegung in Titzes "Prinziples of Voice Production" (Seite 155) könnten ein Ausgangspunkt für Ideen zur akustischen Auswirkung der Gaumenhebung sein.
Titze vergleicht das Schallfeld in einem Rohr konstanten Durchmessers mit dem in einem Rohr, dessen mittlerer Bereich verengt ist. Die Randbedingungen am Ein- und Ausgang sind jeweils gleich: glottisseitig geschlossen, mundseitig offen.
Zunächst wird der Druckverlauf (=Schalldruckamplitude der Schwingung der entsprechenden "stehenden Welle") für die tiefste Eigenschwingung (maßgeblich für den 1. Formanten , im folgenden F1) verglichen. Durch die Verengung ist der Druck im Mundraum merklich geringer, im Rachenraum kurz vor der Verengung unwesentlich höher.
Die analoge Betrachtung für die zweite Eigenschwingung, F2, zeigt folgendes: Der Schwingungsknoten (die Stelle, an der die Druckamplitude Null ist) verschiebt sich durch die Verengung recht deutlich von der Ausgangslage (Abstand von der Glottis = 1/3 der Rohrlänge) zum Mund, etwa dorthin, wo das letzte Drittel der Verengung beginnt. Die Druckamplitude an der Glottis ist gegenüber dem Fall ohne Verengung etwa auf die Hälfte reduziert. Dementsprechend ist eine geringere Impedanz zu erwarten, was wiederum zu einer geringeren Amplitude der in diesem Frequenzbereich liegenden Teiltöne führen dürfte.

Dies mag zu folgender These veranlassen: Die Hebung des Gaumensegels könnte so ausgeführt werden, daß günstige Impedanzverhältnisse für maßgebliche Teiltöne (speziell die unteren) entstehen.

Akustische Auswirkung von Nasalität
Der Tabelle von Goldhan (Seite 123) entnehmen wir folgende Auswirkungen einer Nasalierung:
1. Vergrößerung der Bandweite des ersten Formanten
2. Verlagerung von Formantfrequenzen
3. Extraresonanzen (bei ca. 250 Hz, zwischen ca. 250 und 500 Hz)
4. Verringerte Resonanz des ersten Formanten
5. Antiresonanzen bei ca. 500 Hz, um den ersten Formanten, um den dritten Formanten
Diese Antiresonanzen führen zu einer Schwächung des Klanges in den entsprechenden Regionen. Sie entstehen bei verzweigten Systemen. (Der nasale Bereich kann als ein zusätzlicher Zweig am restlichen Vokaltrakt betrachtet werden.)
6. Zusätzliche Schallenergie zwischen den Formanten
7. Allgemeine Verringerung der Gesamtenergie (pro Zeit im emittierten Schall )
Goldhan verweist in diesem Zusammenhang auf das "außerordentlich verdienstvolle Buch" Clinical Measurement of Speech and Voice, Kapitel 11, Velopharyngeal Function, Seite 436; Baken, R. J., Orlikoff, R.F:, Singular 1999, 2. Aufl., ISBN 1-5659-3869-0, in dem auch Literaturangaben zu den oben angegebenen Punkten gegeben sind.

Reflektor für hohe Schallfrequenzen
Für hohe Frequenzen (etwa über 3000 Hz) könnte die hochgespannte Gaumenwölbung durchaus eine relevante Effizienz als Reflektor haben. Allerdings ist es nicht einfach zu erklären, welche Vorteile dies letztendlich haben könnte. Dieses Phänomen würde bei einer Berechnung der Eingangsimpedanz, wie sie oben vorgeschlagen wurde, mit berücksichtigt werden, sofern dabei Methoden benutzt werden, die auf für hohe Frequenzen hinreichend gute Ergebnisse liefern.

Dämpfung durch Gewebe

Mit Dämpfung meinen wir den Energieverlust durch Mitschwingen von Gewebe, wobei im Gewebe Energie dissipiert wird. Das heißt: Energie wird von Schwingungsenergie in andere Formen, letztendlich in Wärme umgewandelt. Herr Heide hat in seiner Anfrage auf diese Dämpfung hingewiesen. Es ist dazu noch zu berücksichtigen, daß der Energieverlust dann besonders stark ist, wenn eine Eigenfrequenz des Gewebes getroffen wird. Zu Eigenschwingungsfrequenzen des gespannten Gaumens sind keine genauen Untersuchungen bekannt.

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B.4 Mißverständnisse

Es gibt Begriffe und Ideen, mit denen sich hervorragend praktisch arbeiten läßt, die aber eher katastrophal sind, wenn sie physikalisch ernst genommen werden. Deutlich mehr Klarheit ist auf diesem Felde wünschenswert.

Der Tonstrom: Mit dem Begriff des Tonstromes kann viel gutes bewirkt werden -keine Frage. Er verbindet offenbar in sich eine Kombination aller möglichen Qualitäten. Schall, Luftströmung, die damit verbundene feuchte Wärme, Vibrationen ...
Wenn man aber beginnt, zu analysieren, wie er durch enge und weite Passagen hindurchgeht und dabei physikalisch argumentiert, begibt man sich auf einen gefährlichen Holzweg - vor allem, wenn man physikalisch nicht so beschlagen ist.
Kurz und knapp: in der hier relevanten Physik gibt es einen Luftstrom und eine Schallwelle.
Der Luftstrom ist bewegtes Material, nämlich Luft, die strömt. Die Strömungsgeschwindigkeit kann gering oder hoch sein, sie hängt von den Druckverhältnissen und den Strömungswiderständen (Enge, Weite...) ab. Die gängige Sichtweise ist: Strömung wird durch ein Druckgefälle ausgelöst, das wiederum i.a. durch Muskeltätigkeit hergestellt wird.
Die Schallwelle ist die Ausdehnung eines Zustandes, der sich zum Beispiel in einem periodisch schwankenden Luftdruck äußert. Sie ist nicht mit einem makroskopischen Materialtransport verbunden, also nicht mit einer Luftströmung. Die Geschwindigkeit der Ausbreitung ist die Schallgeschwindigkeit, in Luft etwas 340 Meter pro Sekunde. Diese Geschwindigkeit ist festliegend, im wesentlichen durch das Material, in dem die Welle läuft, und dessen Temperatur bestimmt. Bemerkenswert für Sänger: man braucht nichts zu unternehmen, damit die Welle ins laufen kommt. Sobald irgendwo plötzlich ein Druckstoß hergestellt wird, geschieht das "Weglaufen" von sich aus, ohne Anstoß.
Beispiel zur Anschauung: Wasserwelle nach Steinwurf. Ein Auf und Ab der Wasseroberfläche breitet sich aus, Peters Plastikentchen wird auf und ab gehoben (der Zustand höheren oder tieferen Wassers breitet sich wellenförmig aus, läuft unter dem Entchen lang) es wird aber nicht von einer Strömung erfasst (kein Materialtransport).
Bereits Habermann (Seite 57) verweist im Zusammenhang mit dem Anschlagsmodell der Lilli Lehman auf die Unsinnigkeit des Begriffes Tonstrom.

Luftverbrauchänderung durch Gaumenstellung
Die Weite im Gaumenbereich und überhaupt im Vokaltrakt wird oft als bedeutsam für den Luftverbrauch angesehen (z.B. Faltin, S. 48). Nach den Gesetzen der Strömungsmechanik ist sie dafür aber praktisch unbedeutend. Denn auf dem Gesamtweg der Luft liegt in der Glottis eine derart enge Stelle vor (wenige Quadratmillimeter, die auch nur zeitweise offen sind), so daß Verengungen bei Vokalen im Vokaltrakt (im Bereich von Quadratzentimeter, also typischerweise 100 mal größerer Querschnitt) unbedeutend sind. Es ist etwa so wie bei einem fast total verkalkten Wasserrohr: es tröpfelt ein wenig, wenn Sie den Hahn etwas aufdrehen. Sie können ihn auch ganz öffnen, oder sogar abmontieren - der Wasserfluß wird davon praktisch nicht mehr werden.

Das Kombinieren von Resonanzraumeigenschaften
Oft findet man die Idee, daß mit einer Art Umschalter wie dem weichen Gaumen zwei verschiedene Resonatoren je nach Bedarf mehr oder weniger stark "benutzt" werden können (Faltin, Habermann, und viele andere). Man stellt sich dabei vor, der eine Resonator habe eine bestimmte Charakteristik, der andere eine andere. Die beiden Charakteristiken ließen sich nun einfach im gewünschten Verhältnis mischen, indem man die beiden Räume mehr oder weniger gut miteinander verbindet.
Die akustische Realität ist eher folgende: wenn zwei Resonatoren verbunden werden, entsteht ein neuer Gesamtresonator. Nur bei einer sehr schwachen Ankopplung sind die Eigenschaften der einzelnen Resonatoren im neu entstehenden Gesamtresonator wiederzufinden. Beim Ankoppeln des Nasenraumes an den Mund-/Rachenraum entstehen sogar sogenannte Antiresonanzen, während in den einzelnen Resonatoren nur Resonanzen auftreten.
Ein Beispiel zur Verkopplung von hintereinanderliegenden Resonatoren: Betrachten Sie ein an den Enden geschlossenes, langes Rohrstück, das auf ein Drittel der Länge durch eine Wand getrennt ist. Es entstehen zwei Resonatoren, einer doppelt so lang wie der andere. Die Resonanzfrequenzen der Resonatoren verhalten sich zueinander wie 2:1. Werden diese beiden Resonatoren durch Entfernung der Wand voll verkoppelt, entsteht ein neuer Resonator, dreimal so lang wie der kleinere der beiden zuvor bestehenden Resonatoren. Seine Resonanzfrequenzen verhalten sich zu denen des kleinen Resonators wie 1:3. Es treten also auch vollkommen neue, tiefere Resonanzfrequenzen auf. Der neue Satz von Resonanzen ist keineswegs eine Überlagerung der vorher bestehenden Sätze der kleineren Resonatoren.

***

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J. Heide, 12.4.2002


Zunächst zu Ihrer Selbstbeobachtung und zu Faltin:

Ob der Gaumen bei steigender Tonhöhe steigt, scheint meines Erachtens eine Frage der "Schule" zu sein.

Ich selbst komme aus einer "funktionalen" Stimmbildungs-Richtung, die fordert, dass der Gaumen immer - auch bei tiefen Tönen - oben zu stehen hat. Und auch meine Selbsbeobachtung ergab:

Wenn ich - ganz gleich in welcher Lage - eine extreme "Gähnhaltung" einnehme bleibt der Gaumen unabhängig von der Tonhöhe oben

Das daraus resultierende Klangergebnis: Es entsteht ein "kopfiger" "gedeckter" Klang über den ganzen Stimmumfang. (Ich weiß: auch hier führe ich wieder undefinierte Begriffe ein. Aber man könnte den Klang-Spektrum ja ohne weiteres messen)

Offenbar gibt es in dieser Hinsicht verschiedene Stimmtechniken.

(Praktiziert und propagiert wird übrigens die Technik des gehobenen Gaumens über den gesamten Stimmumfang hinweg u. a. von Prof. Suttner - Leiter des Via-Nova-Chores in München)

Einen engen Zusammenhang vermute ich zwischen dem in der Gesangspädagogik bekannte "Decken" - dem Absenken des Kehlkopfes - und der Hebung des Gaumens. Physiologisch betrachtet sind Gaumen-Hebung und Kehlkopf-Senkung ja zumindest beim Gähn-Reflex miteinander gekoppelt.

Vorausgesetzt, es besteht dieser enge Zusammenhang zw. Kehlkopfsenkung und Gaumenhebung, schließt sich der Kreis zu Ihrer Selbstbeobachtung und der Faltins:

Viele Sänger decken offenbar erst dann, wenn sie in die oberen Tonhöhenbereiche gelangen wollen.

Physiologisch ist dies sinnvoll: Die Kehlkopf-Senkung erleichtert die Arbeit des äußeren Stimm-Muskels (cricothyreoideus), der für die Gesamt-Spannung und damit die Tonhöhenregelung der Stimmlippen verantwortlich ist.
Bei tieferen Stimmlagen dagegen genügt eine weitaus geringere Aktivität dieses Muskels.

Noch ein paar Worte zu Ihrer Anmerkung B.2: Kopplung Nasenraum und Rachen:

Eine ganz "heiße" Spur ist - wie ich glaube - der von Ihnen angedeutete "Membran"-Effekt.

Wie ich oben schilderte, habe ich persönlich meinen Gaumen so trainiert, dass ich ihn unabhängig von der Tonhöhe oben halten kann.

Und dennoch kann ich zusätzlich mein Gewebe im Nasenbereich so anspannen, dass der Stimmklang heller wird. Meine Gesangslehrer sprachen z. B. vom Anspannen der Nasenwurzel, oder vom Spannen der Gaumenbögen. Tatsächlich spüre ich beim Abtasten meines harten Gaumens, dass ich diesen mehr oder weniger anspannen kann. Vielleicht wird dadurch die Schallübertragung in den Nasenraum verbessert?? Möglicherweise sind wir damit auch auch schon ganz eng an dem, was die klassische Gesangspädagogik mit "in die Maske" singen bezeichnet? Eine typische Forderung lautet ja z. B.: Der Klang soll nicht in der Nase sein, aber die Nase soll im Klang sein. Das bedeutet konkret:
Nasalität ist unerwünscht (Gaumen soll oben sein), aber die Nasenräume sollen trotzdem mitschwingen.


W. Goldhan, 21.5.2002


Lieber Herr Dr. Stolze, über Ihre Initiative, wieder das alte Thema Nasalität aufzugreifen, habe ich mich sehr gefreut. Offensichtlich ist es unvermeidlich, von Zeit zu Zeit sogenannte alte Hüte nochmals abzuhandeln. Es ist ehrenvoll mich mit meinem Buch zu zitieren, aber ich stehe auf den Schultern anderer. Besonders muss ich die Aufmerksamkeit auf einen der besten Kenner der Materie lenken: Walter Trenschel. Er hat mit seinen Untersuchungen wesentlich zum Verständnis des Begriffes und der Funktion der Nasalität beigetragen, seine Publikationen gehören zur Standardliteratur.

Anmerkungen d.Red.:

- Die Anregung zur Diskussion des Themas ging dankenswerterweise von Herrn J. Heide aus.

- Das Literaturverzeichnis des Goldhan´schen Buches weist folgende Texte von Walter Trenschel auf:

Trenschel, W.: Oralität und Nasalität in der deutschen Standardaussprache. Beiträge zur Phonetik und Linguistik, Band 65, Trier 1994

Trenschel, W.: Der Begriff "gesunde Nasalität". In: Sprache-Stimme-Gehör, 2,1994, S. 90-93

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W. Saus, 27.5.2002


(Hinweis d. Red.: Der Obertonsänger Wolfgang Saus wurde von uns um diesen Beitrag gebeten. Auf seiner website http://www.oberton.org finden sich interessante Informationen über das Obertonsingen inklusive Soundproben)

Beim Obertongesang werden die Muskelfunktionen im Vokaltrakt offenbar nach und nach bewußter und in der Feinmotorik geschult.
Ich setze mein Gaumensegel unter bewußter Kontrolle ein. Im Wesentlichen sind es
zwei Effekte, die ich damit bewirke. Ich nutze die Ventilfunktion zur
Verstärkung der Obertöne und ich nutze das Gaumensegel um einen Schnarreffekt
bei einer bestimmten Obertontechnik zu erzeugen. Bei einer Untersuchung im
Klinikum Aachen wurde der Einfluß des Gaumensegels beim Singen einer
Obertonreihe auf einen konstanten Grundton mittels Video beobachtet und keine
Veränderung mit der Obertonhöhe gefunden. Wegen der Irritation durch die Kamera
in der Nase, sind diese Ergebnisse aber nach meiner Meinung nicht
aussagekräftig. Wird der Nasenraum mit dem Gaumensegel geschlossen, wird dadurch
der Grundton gedämpft, wodurch der Oberton lauter klingt. Ich nutze das gezielt,
wenn ich hohe Obertöne singe. Nach meinem Gefühl wird der tuvinische "sygyt"
auch mit geschlossenem Gaumensegel gesungen.
Der Schnarreffekt wurde bisher nicht untersucht. Aber in meinen Fortbildungen
gebe ich diese spezielle Gesangstechnik genau zu dem Zweck weiter, eine bewußte
Kontrolle des Gaumensegels zu trainieren.
Eine kleine Beobachtung am Rande einer Untersuchung akustischer Aspekte ergab
bei der normalen Stimme unter Konstanthaltung der Obertonkonstellation bis etwa
2500 Hz einen Amplitutenanstieg im Formanten bei 5000 Hz, wenn ich das
Gaumensegel öffnete und einen Abfall, wenn ich es schloß.


Alfredo Ihl, 25.6.2002

Physiologisch betrachtet sind Gaumenhebung und Kehlkopfsenkung beim
Gähnreflex miteinander gekoppelt. Geht man davon aus, dass ein
möglichst tiefhängender Kehlkopf besonders günstige
Bedingungen für ein unangestrengtes Singen bietet, so ist es
sicherlich nicht von Nachteil, wenn die Hebung des Gaumensegels eine
tiefere Lage des Kehlkopfs begünstigt. Für Anfänger ist
es zunächst nicht ganz einfach, genau zu erspüren, was denn
der Gaumensegel tut. Ich bin gerade dabei, mir der Lage meines
Gaumensegels bewußter zu werden und versuche dies über das
Gähnen zu erspüren. Sicherlich wäre es ein wenig
überzogen, die Lage des Gaumensegels als des Singens wichtigste
Prämisse anzusehen. Daran vorbeigehen kann man aber auch nicht,
weil sie ja auch über Nasalität entscheidet, wie von Dr.
Goldhan sehr genau erklärt wird. Jedenfalls ist es bestimmt nicht
verkehrt als Sänger bewußt wahrnehmen zu lernen, was das
Gaumensegel tut, genauso, wie es hilfreich sein kann, wahrzunehmen,
wie die Zunge im Munde liegt. Viel Freude beim Gähnen!

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Eberhard Storz, 30.10.2002


Sehr geehrter Herr Dr Stolze, ich bedaure nachgerade, dass ich erst jetzt auf Ihre Homepage geraten bin und Sie nicht während meiner Zeit in Bremen bei Jekyll&Hyde kennenlernen konnte..Ja ich habe von Bach über Wagner bis eben zum Musical alles gesungen ,was(mir) Spaß macht, und das nun über 45 Jahre ohne Verschleißerscheinungen. Soviel zu meiner Legitimation.

Und vorab meine herzlichen Glückwünsche zu Ihrem Projekt. Ausnahmsweise möchte ich meine Meinung äußern (ich tue das sonst nie, weil meine Meinung mich sehr viel Arbeit gekostet hat und ich deshalb gar keinen Wert darauf lege, dass irgendwer sie teilt...ja Humor vermisse ich gänzlich auf Ihren Pages...)

Nun zum weichen Gaumen: Haben Sie es eigentlich wirklich nur mit Eso-Sängern zu tun? Oder artikuliert da mal jemandeinen Satz? Hat niemand der Herrschaften je eine Hochgeschwindigkeitsaufnahme von auch nur normalem Sprechen gesehen und was das arme Gaumensegel dabei aufführen muss um zwischen Nasalen und Explosiva zu trennen? Es ist ja völlig in Ordnung seinen weichen Gaumen zu entdecken, aber was man da entdeckt ist eine doppelte Projektion: einerseits wie man den Körper subjektiv wahrnimmt und andererseits, wie sich der Körper subjektiv darstellt. Mit der anatomisch-physiologischen Realität hat das sehr wenig zu tun.

Ich stimme voll und ganz mit Ihnen überein, dass Forschung und Lehre sich innig beeinflussen sollen. Aber allzu direkte Schlüsse, oder beinahe Kurzschlüsse aus wissenschaftlichen Aha-Erlebnissen auf den Gebrauch der Stimme scheinen mir doch suspekt. Ein Analogie-Kurzschluss: Was hat die Gehirnforschung für das Denken gebracht???

Beste Grüße und bald auf ein Neues. Ihr Eberhard Storz

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Aus dieser Rückmeldung entstand ein längerer, interessanter Disput, zu dem weitere Meinungen gefragt sind. Mehr dazu unter diesem Link.

J. Heide, 12.4.2002 *** W. Goldhan, 21.5.2002 *** W. Saus, 27.5.2002 *** A. Ihl, 25.6.2002*** E. Storz.30.11.02*** Wiederaufnahme der Diskussion/Juli 2006


Wiederaufnahme der Diskussion/Juli 2006

Beiträge: Heide, 27.7.2006 *** Stolze, 2.8.2006 *** Heide, 8.8.2006 *** Stolze, 10.8.2006 *** Seimer, 4.10.2006


Joerg Heide, 27.7.2006

Sehr geehrter Herr Stolze,

mittlerweile sind schon vier Jahre vergangen, seitdem ich mit meinem Gaumen-Thema unbeabsicht offenbar eine heftige "wissenschaftstheoretische" Diskussion in Gang gesetzt habe. Zwischendurch maß ich dem Faktor Gaumen selbst nicht mehr die große Bedeutung zu. Doch nach langer Beschäftigung - auch im Selbstversuch - bin ich wieder dort angekommen, wo ich vor vier Jahren war.

Mich beschäftigt folgende Frage: Welchen Einfluss auf den Stimmklang - insbesondere auf die Bildung des 3000 Hz-Sängerformanten - hat Ihrer Meinung nach die Härte der Gewebewand im Rachen?
(Eine Ihrer Antworten zur Dämpfung geht in diese Richtung)

... Es folgen konkrete Fragen, die der besseren Übersicht wegen in die Antwortmail kopiert wurden und unten zu lesen sind (Farbe:
dunkelgrün) .



Heinz Stolze, 2.8.2006

Sehr geehrter Herr Heide,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich hoffe, dass Sie mit meiner Antwort etwas anfangen können, auch wenn sie gegenüber den offenbar beliebten vergleichenden Überlegungen zur "Akustik" der Stimme eher kritisch ist.

Der Einfachheit halber habe ich meine Antworten abschnittsweise in den Text eingesetzt.

...(Anmerkungen zum Procedere der Diskussion)

mit freudlichem Gruß
Heinz Stolze


Hintergrund dieser Frage sind zwei Ansatzpunkte:

1.) Der Münchner Stimmphysiologe und Physiker Dr. Franz Brandl vergleicht die optimale Rachen-Wand-Einstellung mit einer Trompete (Mundstück Kehlkopf, Rachenwand ist Trompetenrohr mit enger Mensur, Schalltrichter vorne an den Lippen). Der 3000 Hz-Formant kann seiner Meinung nach sehr gut durch den Vokal "i" trainiert werden, der diesem Trompetenrohr sehr nahe kommt.
Allerdings beschränkt sich Brandl damit ausschließlich auf die Rohrgeometrie.
Überhaupt fällt auf, dass unter den physikalisch/akustisch orientierten Stimmwissenschaftlern die Betrachtung der Rohrgeometrie im Zentrum steht (s. auch Sundberg).
*** Ehrlich gesagt halte ich von solchen Pauschalvergleichen nicht sehr viel. Immerhin funktioniert eine Trompete akustisch ganz anders als die Stimme. Wenn man Vergleiche anstellt, kann sich das nur auf einzelne Aspekte beziehen, und die muss man schon sehr genau benennen, wenn das einen Sinn und einen praktischen Nutzen haben soll.
Sollte mit " ... "i" trainiert werden, der diesem Trompetenrohr sehr nahe kommt." tatsächlich gemeint sein, daß Form und Maße des Vokaltraktquerschnittes dem einer Trompete ähneln?
Soweit ich das sehe, kommt der Vergleich von den Abmessungen (z.B. Länge) her nicht hin und allenfalls nur sehr sehr grob von der Form her. Jedenfalls scheint mir bei diesem Vergleich die Klarheit des Wissens darüber zu fehlen, daß Eigenfrequenzen sich mit der Größe des Resonators verändern.
Das Training per "i" halte ich auch für effektiv, allerdings eher deshalb, weil der zweite i-Formant nahe am Sängerformanten liegt, und diesen somit anheben kann.

2.) Die Sänger, Schüler und Stimmbildner um den Münchner Stimmphysiologen Dietrich Schneider behaupten, die Anspannung der Rachenwand, z. B. Schlundschnürer, Gaumenspanner etc. "verhärten" das Gewebe und reflektieren dadurch stark Frequenzen um den Sängerformanten.
*** Physikalisch betrachtet ist keine besonders bedeutsame Erhöhung der Reflexion zu erwarten, wohl aber eine Reduktion der Dämpfung. Die ist gerade dann bedeutsam, wenn sie an einem Ort starken Schalldruckes (der Frequenzen um 3000 Hz) auftritt.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob mit der Idee des Reflektierens ( um die Ecke herum?) nicht ein grundlegendes Mißverständnis der Akustik des Vokaltraktes vorliegt.

In der Tat stelle ich selbst immer wieder fest, dass sich bei Anspannung im Gaumenbereich (Hilfsmittel ist z. B. starkes Angähnen nach hinten oben in den Hinterkopf, oder auch Gaumenspannung vorne durch starke "i"-Spannung), sehr helle Frequenzen einstellen.
*** Dem kann ich mich anschließen. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die erhöhte Spannung (und damit reduzierte Dämpfung) wohl nicht eng lokalisiert auftritt und dass neben der Spannung auch Formänderungen eine (wichtigere?) Rolle spielen können.

Meine These:
Auch die Übungen der klassischen Gesangslehrer (Maske singen, "Hoch- und Vordersitz", Zähne zeigen etc...) zielen letztendlich physiologisch darauf ab, diese Spannung in der Rachenwand zwischen Mundraum und Nasenraum zu erzeugen.
*** Persönliche Anmerkung: verstehe wohl diesen weitverbreiteten Wunsch, gute Funktionen auf einen einzelnen "Knackpunkt" zurückzuführen.

Daher meine Frage an Sie als Physiker:
Was halten Sie von der Theorie, dass die Sängerstimme ein Blasinstrument sowohl geometrisch als auch in puncto Rohrwandfestigkeit (Trompeten bestehen immerhin aus Metall) nachbildet?
*** Wie bereits oben angegeben: wenig. Gerade die "Rohrwandfestigkeit" liegt bei Trompeten in einer ganz anderen Größenordnung. Dementsprechend stärker sind die Resonanzen (wenig Dämpfung). Trompeten spielen bekanntlich Töne, die auf Eigenfrequenzen des Rohres liegen. Hierbei steuert das Schallfeld im Rohr das Ventil (Lippen). Bei der Stimme sind die Töne weitgehend unabhängig von den Vokaltrakteigenrequenzen singbar. Eine Freiheit der Klanggestaltung, die man sicher nicht unnötig einschränken sollte.
Die Idee, daß der in seiner Formgebung ausgesprochen variable Voklatrakt nun eine Art von Rohr, das für eine ganz andere akustische Funktion von Menschenhand gemacht ist, nachbilden sollte, ist mir weder physikalisch noch sonstwie plausibel. Allenfalls unter dem von Ihnen unten diskutierten speziellen Rückwirkungs-Aspekt ist der Verweis auf eine Trompete verständlich (wenngleich die Rückwirkungen auf die Grundfrequenz der Quelle ganz anders einzustufen sind als die auf höhere Teiltöne).
Eine gewisse Annäherung an stärkere Resonanzen (wie bei der Trompete) findet ja beim Obertonsingen statt. Die dabei auftretende starke Hervorhebung von einzelnen Teiltönen ist im normalen Gesang sicher nicht erwünscht.


Dass die dadurch erreichten Rohreigenschaften sogar auf die Stimmlippenschwingung zurückwirken und die 3000 Hz im Primär-Spektrum verstärken?
*** Ich halte das Konzept des "Primärspektrums" generell für nicht sehr überzeugend. Fühlt doch jeder sensible Sänger, daß bereits die Tonbildung in der Kehle von der Einstellung des Ansatzrohres abhängig ist, und damit wohl kaum als "primär" (im Sinne von unabhängig vom Vokaltrakt) bezeichnet werden kann. Rückwirkungen der Vokaltrakteigenschaften auf die "Quelle" sind auch in der akustisch orientierten Stimmwissenschaft bekannt und anzunehmen (mehr oder weniger stark).

Könnten Sie sich eine Mess-Methode vorstellen, den Einfluss der Rachenwandhärte auf den Stimmklang zu messen?
*** Ich würde das am ehesten an einem Modell untersuchen, da in vivo die Bestimmung der "Wandhärte" über den ganzen Vokaltrakt sehr vertrackt sein dürfte, und zudem mit der willentlichen Änderung im Gaumenbereich unvermeidbar weitere akustisch bedeutsame Parameter geändert werden.



Joerg Heide, 8.8.2006

Sehr geehrter Herr Stolze,

vielen Dank, dass Sie sich noch einmal die Zeit nehmen, auf meine Fragen einzugehen. Hier noch mal meine Anfrage:

Wenn ich - um im Sprachgebrauch der klassischen Gesangsschulen zu bleiben - den Ton an einem bestimmten Punkt ansetze, z. B. an der Nasenwurzel, glaube ich, eine deutliche Klangveränderung zu hören. Gleichzeitig glaube ich auch bestimmte Muskelzüge im Gaumenbereich in Richtung dieser Punkte zu spüren. (Zugegebenermaßen kann ich auch nicht ausschließen, dass die Zunge "mitmacht" und sich etwas verlagert.)

Folgende Erklärungsmöglichkeiten fallen mir dazu ein:

a) Alles Humbug und Einbildung.
Doch Vorstellungshilfen, die die obere "Kopfhalbkugel" in den Fokus rücken, ziehen sich quer durch die Gesangsliteratur und Aussagen erfolgreicher Sänger. Irgendetwas muss dran sein ...

b) Die Rachen-Geometrie ändert sich.
Wobei ich mir nur schwer vorstellen kann, dass sich diese - bezogen auf den Rachenquerschnitt - sehr kleinen "Gaumen-Verformungen" derart auf die Eigenfrequenzen auswirken können. Möglicherweise verursachen diese Vorstellungen aber auch hauptsächlich Zungenverlagerungen, die sich günstig auf die Geometrie des "Sänger-Rohrs" auswirken.

c) Die "Wandeigenschaften" ändern sich. Aber diesen Einfluss sehen Sie wohl eher als gering an ...

d) Rein nervlich: Über den "Umweg" durch das Gehirn werden Kehlkopf-Muskeln stimuliert

e) Muskulär: Muskelketten, die vom Rachen zum Kehlkopf ziehen lösen Muskelreaktionen im Kehlkopf aus

f) Gaumenplatte als Membran, die Schwingungen in den Nasenraum überträgt - von diesem Thema war ja schon einmal in Ihrem Forum die Rede.

g) eine Kombination aus diesen Faktoren


Mich würde brennend interessieren, in welcher Richtung Sie einen Tipp abgeben würden?

viele Grüße
Jörg Heide



Heinz Stolze, 10.8.2006

Sehr geehrter Herr Heide,

dies ist tatsächlich eine Frage, bei der man Vieles berücksichtigen muss und auch eingestehen, dass nur wenig wirklich handfestes Wissen für eine präzise Erklärung vorhanden ist. Ein wesentlicher Grund ist der, dass seitens der Akustik die Wandung des Vokaltraktes schlicht als hart und unbeweglich angenommen wird, die faktische Weichheit üblicherweise nur pauschal in Form einer Dämpfung in Modellrechnungen eingebracht wird. Gerade wenn es um das Mitschwingen von Knochenpartien geht, kann diese Herangehensweise natürlich keine Erklärung bringen. Dabei darf nicht verkannt werden, daß eine einigermaßen realistische akustische Modellierung von Knochen, Muskeln und Gewebe im Zusammenspiel mit dem Vokaltrakt so aufwendig wäre, dass sie derzeit wohl kaum einen Sinn macht. In diesem Zusammenhang möchte ich (angeregt durch Ihre Formulierung in Punkt c)) sozusagen ein wenig zurückrudern und das wie folgt formulieren. Sieht man die Begrenzung des Vokaltraktes tatsächlich nur als eine einfache Wand, wie bei einer Trompete, die aus einem Material besteht, das akustisch eine wesentlich höhere Impedanz hat als Luft und dick genug ist, um nicht zu stark zu schwingen, so ist von Spannungsänderungen in dieser Wand nicht allzuviel Einfluß auf die Eigenfrequenzen des Rohres zu erwarten. Sieht man jedoch die Wand des Vokaltraktes als schwingend und dazu all die schwingungsfähigen Knochen dahinter, so sieht das anders aus - sehr sehr komplex. Insbesondere, wenn über die Schwingung der Knochen die Stimmbildung mit gesteuert wird.

Zur Erklärung des "Ansatzpunktphänomens" sehe ich als bedeutsamsten Aspekt die Umorientierung in der Organisation des Singens (sozusagen "nervlich"). Es geht nun darum, die Nasenwurzel (oder eine andere Stelle im Kopfbereich) möglichst intensiv klingen zu fühlen. Hinterfragen wir dieses "fühlen" genauer: Da ist zum einen die Vibrationssensation. Damit meine ich die Tatsache, dass Vibrationssensoren im Gehirn neuronale Aktivität auslösen. Diese führt zu Vibrationswahrnehmung (in höheren Zentren), in dem Sinne, dass man merkt, die Nasenwurzel vibriert. Ich gehe davon aus, dass es für das Singen viel wichtiger ist, diese Vibrationssensationen auch auditiv zu verarbeiten. Genau wie ein Blinder durch das Tasten vor allem ein Bild seiner Umgebung aufbaut - also nicht nur Druckempfindungen an einer Fingekuppe hat- kann die Aktivität von Vibrationssensoren auditvite Empfindungen auslösen bzw. beeinflussen - dies natürlich im Verbund mit dem Hörprozess über das Innenohr. Dies wird sicher durch die Aufforderung, die Stimme in einem Punkt anzusetzen, gefördert. Dazu kommt durch die Konzentration auf den Ansatzpunkt eine verbesserte Auswertung der per Knochenleitung zum Ohr gelangenden Schallwelle. Und vor allem: die Hörweise und damit die Stimmkontrolle ist nun primär klangorientiert. Ein Teil des Körpers wird durch die Stimme und damit auch als Teil der Stimme zum Klingen gebracht. Dies ist ein für das Singen viel besseres Bild, als das einer Primärquelle im Kehlkopf, die dann durch den Vokaltrakt und eventuell mitschwingende Körperpartien gefiltert wird. Oder eben die Vorstelung es klinge im Vokaltrakt und drumherum schwingt möglicherweise dies und jenes etwas mit.
Genau wie man bei der Übung des "Korkensprechens" gute Einstellungen der lautbildenden Körperpartien findet, ohne zu wissen wie, findet man beim Ansetzen in einem Punkt geeignete Einstellungen. Meine Ideen, was da konkret eine Rolle spielen könnte, sind die folgenden.

Abstimmung von Kehlkopfakitvität und Vokaltrakt so, daß
a) Frequenzen stärker werden, die besonders gut zum Ansatzpunkt durchdringen. Etwa durch reduzierte Dämpfung (stramme Haut/Muskeln, besonders an Schwingungsbäuchen). Frequnezverschiebungen würde ich nicht für so bedeutsam halten, da die Resonanz der Anatzpunkte wohl eher flach ist und dabei so hoch liegt, daß im allgemeinen eh mehrere Teiltöne in diesen breitbandigen Resonanzbereich fallen.
b) Die Schallverteilung so verändert wird, daß Schall gut zum Ansatzpunkt gelangt. Z.B. durch die Verschiebung eines Schwingungsbauches so unter die Gaumenplatte, daß eine beonders gute Übertragung nach oben hin erfolgt. Hier spielt sicher die Zunge maßgeblich mit.

Unabhängig davon glaube ich, daß es für die Stimme generell sehr hilfreich ist, wenn man sich körperlich auf sie einlässt. Das heißt neben der gängigen Frage, wie muß ich den Körper (diesen oder jenen Muskel) so einstellen, daß der Klang gut wird, sollte die Bereitschaft stehen, daß die Körperpartien sich direkt von der Stimmschallwelle in guten (Spannungs-)Zustand versetzen lassen und so ein Kreisprozess der gegenseitigen optimierenden Wechselwirkung entsteht. Das Ansetzen in einem Punkt lenkt in diese Richtung. Von dem was dabei "nervlich" abläuft, kann sicher nur die "Spitze des Eisberges" bewußt erfaßt werden.

...(Anmerkungen zum Procedere der Diskussion)

mit freundlichem Gruß
Heinz Stolze


Andreas Seimer (Phoniater und Pädaudiologie, HNO-Arzt und Logopäde), 4.10.2006

Lieber Herr Stolze,
ich bin nach Ihrer Anregung auf Ihrer interessanten Homepage gelandet und gleich bei meinem Lieblingsthema: dem Gaumensegel und habe die Diskussion über die Rolle des weichen Gaumens beim Singen angeschaut. Vielleicht kann ich ein paar medizinische Tipps auch aus der Selbsterfahrung geben.

Zu den Selbsterfahrungshilfsmitteln:
Sehr gut ist das sogenannte Phonendoskop geeignet, um die nasale Klangbeimischung akustisch zu beurteilen. Ein Teil eines Silikonschlauches ist mit einer Nasenolive verbunden und das andere Ende mit einer Ohrolive. Die Nasenolive steckt man sich in die Nase oder beim Probanden, den man hören möchte. Die Ohrolive in das eigene Ohr. Nun kann man sehr gut hören, wie stark die Klangbeimischung ist. Dies ist eine einfache, aber effektive Standarduntersuchung für die akustische Beurteilung und das akustische Feed-Back (Sänger, aber auch Menschen mit krankhaften Veränderungen der Gaumensegelfunktion).
Es ist bei uns physiologisch, dass auf Grund der weiten Mundöffnung beim "A", der velopharyngeale
Abschluss, nicht vollständig sein muss, bei den engen Vokalen "i" und "u" aber erforderlich ist, sonst hört man ein offenes Näseln (Hyperrhinophonie). Je ausgeprägter die Gaumensegelschwäche, um so angestrengter ist die Stimme, da durch den Luftverlust bei der Stimmgebung (und noch mehr beim Sprechen), die Stimmlautstärke erhöht werden muss, um die gleiche subjektiven Lautstärke zu erreichen.

Die Größe der velopharyngealen Öffnung ist entscheidend für das Klangergebnis. Eine kleine Öffnung wird noch als angenehm empfunden, eine weite verändert den Klang zu stark.

Anmerkung H. Stolze: Wer ein einfaches Stethoskop mit lösbaren Verbindungen besitzt, kann daraus durch Umstöpseln der Schlauchverbindungen leicht ein solches Phonendoskop zusammenstecken. Dabei wird eine Ohrolive als (hinreichend akzeptable) Nasenolive benutzt.
Als Notlösung könnte man ein Stück 8mm-Silikonschlauch vom Baumarkt (ohne Oliven) verwenden.


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Die Rolle des weichen Gaumens beim Singen

Rückmeldungen, Diskussion

J. Heide, 12.4.2002 *** W. Goldhan, 21.5.2002 *** W. Saus, 27.5.2002 *** A. Ihl, 25.6.2002*** E. Storz.30.11.02*** Wiederaufnahme der Diskussion/Juli 2006